Iggy Pop hat noch mächtig Power. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Laurent Gillieron/KEYSTONE/dpa)

Privat lässt es Iggy Pop mit seinen 75 Jahren längst ruhiger angehen als früher. Der «Godfather of Punk» zeigte sich sogar demütig mit Blick auf einstige Zerstörungsorgien. Auch musikalisch schlug er zuletzt mit dem Album «Free», einer Mischung aus Ambient und Jazz, deutlich leisere Töne an. Doch damit ist nun erstmal Schluss. Als wollte er es noch einmal allen zeigen, gibt Iggy Pop auf «Every Loser» wieder den wilden, wütenden Kerl.

«Ich bin rasend, du verdammter Mistkerl», singt er – noch milde übersetzt – im Refrain des mitreißenden Garagen-Rockers «Frenzy» und klingt dabei wie einer, der nach der Zeit der Pandemie dringend ein Ventil brauchte. «Ich habe die Krankheit satt», schimpft der ehemalige Frontmann der Stooges mit Übersteuerung ins Mikrofon. Das macht richtig Spaß, auch wenn – oder gerade weil – der 75-Jährige auf seine alten Tage so wenig bedrohlich wirkt wie seine Zeitgenossen Alice Cooper oder Ozzy Osbourne.

Soweit so wild – nach dem packenden Albumopener wird es etwas gemächlicher, jedoch nicht weniger cool. Eine lässige Bassline und markante Keyboard-Riffs verpassen «Strung Out Johnny» einen starken New-Wave-Einschlag, bevor der rifflastige Punk-Refrain einsetzt. Inhaltlich geht es um den Absturz in die Drogenabhängigkeit. Damit kennt sich der Sänger mit dem unverwechselbaren Bariton, der nach eigener Aussage seit über 20 Jahren clean ist, bestens aus.

«New Atlantis» kann wahrscheinlich als Ballade durchgehen. Es ist eine Liebeserklärung an Iggy Pops Wahlheimat Miami, die er im Song als «eine wunderschöne Hure von einer Stadt» bezeichnet. «Aber jetzt versinkt sie im Meer», singt er in Anspielung auf den steigenden Meeresspiegel, der die Metropole in Florida bedroht.

Kurzweilig und packend

Typisch Iggy Pop, er setzt sich auch im Alter keine Stilgrenzen. Wie selbstverständlich lässt der Mann, der meistens mit freiem Oberkörper rumläuft, kräftigen Punkrock («Modern Day Ripoff», «Neo Punk»), lässig groovende Balladen («Morning Show») und Power-Pop mit Synthesizern («Comments») zu einem kurzweiligen, packenden Album verschmelzen, das schon beim ersten Durchlauf zündet.

Die unglaublich coole, tiefe Stimme trägt alles – und wird begleitet von namhaften Musikern. Den Bass spielt Duff McKagan von Guns N‘ Roses. Am Schlagzeug sind Chad Smith (Red Hot Chili Peppers), Travis Barker (Blink-182) und der kürzliche verstorbene Foo-Fighters-Drummer Taylor Hawkins zu hören. Ex-Chili-Peppers-Mitglied Josh Klinghoffer spielt Gitarre und diverse Tasteninstrumente. Außerdem sind Dave Navarro und Eric Avery von Jane’s Addiction dabei. Viele der Musiker sind auch als Co-Songwriter gelistet. Produziert hat Andrew Watt, der schon mit Justin Bieber, Miley Cyrus und Pearl Jam gearbeitet hat.

Auf seine unvergleichliche Art hatte Iggy Pop angekündigt, mit diesem, seinem 19. Album «die Scheiße aus euch rauszuprügeln». Über solche Sprüche muss die Punk-Ikone mit 75 Jahren wahrscheinlich selbst schmunzeln. Schließlich ist Iggy Pop, der einst ein schüchterner Junge war und eigentlich Jim Osterberg heißt, schon lange kein verhasster und gefürchteter Antiheld mehr, sondern eine allseits beliebte Kultfigur.

Auf dem Albumartwork ist ein jüngerer Iggy Pop zu sehen. Die Fotos sind vermutlich Ende der 1970er Jahre entstanden. Wie passend. Denn «Every Loser» ist ein Album, das auch von Nostalgie lebt, von der Erinnerung an wildere Zeiten. Es ist ein großartiges und angemessenes Alterswerk. Vielleicht kein allzu harter, aber ein im positiven Sinne gepflegter musikalischer Tritt in den Allerwertesten.

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