Raven (l) und Mac Chaotix, Veranstalter und Kiezbewohner, halten eine Mahnwache auf dem Spielbudenplatz an der Reeperbahn. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Christian Charisius/dpa)

Die Wirte vom Hans-Albers-Platz sind stinksauer. «Für uns ist das Berufsverbot», sagt Odin. Seine «99 Cent Bar» ist seit Monaten wegen Corona dicht, genau wie all die anderen rund um den Platz im Herzen von St. Pauli, auf dem sonst das pralle Leben tobt.

«Und die Kosten für Miete und alles laufen weiter», sagt Oli vom «Albers Eck». Micky, die Wirtin der «Nachtschicht St. Pauli», spricht es aus: «Man hat uns allein gelassen.»

Am 15. März 2020 – da war der erste Hamburger Corona-Fall gerade mal zwei Wochen her – beschloss der Senat, dass Bars, Clubs, Kneipen und Bordelle schließen müssen. Der erste Lockdown. «Polizeibeamte kamen zu uns in den Laden und sagten, dass wir um Mitternacht dichtmachen müssen», erinnert sich Oli.

Eine nie da gewesene Situation. Sogar der berühmte, eigentlich rund um die Uhr geöffnete Elbschlosskeller musste eigens ein Schloss kaufen, um schließen zu können. Und auch sonst war plötzlich absolute Stille auf der Amüsiermeile. «Nachtleben ist natürlich in so einer Pandemie eher schwierig», sagt die Quartiersmanagerin Julia Staron. «Deswegen gehören die meisten Betriebe auf St. Pauli zu denen, die als erste zugemacht wurden, und wahrscheinlich zu den letzten, die wieder aufmachen.»

Den Clubs geht in der Corona-Auszeit langsam die Puste aus, heißt es beim Hamburger Clubkombinat, das etwa 110 Musikspielstätten, rund 50 Veranstalter und ein halbes Dutzend Festivals der Hansestadt vertritt. Kai Schulz vom Vorstand sieht, dass die Kraftreserven vieler bedenklich schwinden. «Die Kulturbehörde unterstützt uns Clubs in diesen schwierigen Zeiten und doch kann auch sie nicht alles retten – ein Jahr Zwangspause führt für die Menschen, die sich in diesem System seit Jahren bewegen, nun zwangsläufig auch zur neuen Orientierung für ihre berufliche Perspektive», sagt der Betreiber der «Hebebühne».

«Es wird sehr wahrscheinlich einige Zeit dauern, bis wir wieder an die Ausgangslage vor der Schließung anknüpfen werden», so Schulz. Doch das lohne sich: «Clubs sind Kultur – sie gehören zu der Identität der Stadt und sind für unser kulturelles und speziell das Nachtleben in Hamburg und besonders auf dem Kiez prägend.»

Das Herz von St. Pauli werde irgendwann wieder so schlagen wie vor Corona, ist der «Kiez-Bürgermeister» Falko Droßmann sicher, wenn auch vielleicht mit anderen Betreibern. «Der Kiez ist ja deshalb so besonders, weil er Nischen bietet. Ich habe die Pornokinos, die Prostitution, ich habe die kleinen Bars und die schicken Superclubs. Das ist es ja, was den Kiez ausmacht.»

Das Rotlicht dürfte auf der sündigsten Meile der Welt so ziemlich als letztes wieder angehen. «Es ist schwierig für die Frauen», sagt Gastronom Andy vom Sexy Aufstand Reeperbahn, der die Damen aus der Herbertstraße vertritt, die dort sonst leicht bekleidet in Schaufenstern auf Kunden warten. «Ich befürchte, dass viele in die Illegalität abgetaucht sind.» Ein Hygienekonzept hatten auch sie bereits vorgelegt und ab September wieder Freier empfangen, als es kurz danach in den zweiten Lockdown ging.

Die DJs Raven und Mac Chaotix halten trotz Sturmböen und Regens im Pavillon der Kiez-Mahnwache auf dem Spielbudenplatz die Stellung. «Die Lichter gehen aus» steht hinter ihnen auf einem Bauzaun. Sie konnten schon seit einem Jahr nicht mehr auflegen. Von sofortiger Öffnung halten sie allerdings nichts. «Die sollten lieber einmal einen konsequenten Lockdown für vier Wochen machen, damit wir damit durch sind», sagt Raven.

Quartiersmanagerin Staron geht davon aus, dass die Pandemie noch für viele weitere Monate den Kiez bestimmen wird. «Das echte Partymachen dürfen wir wahrscheinlich erst in 2022 wieder erwarten. Das ist die Realität.» Auch das Pleiten-Ausmaß sei noch gar nicht abzusehen. «Die echten Herausforderungen beginnen erst, wenn die Pandemie vorbei ist. Dann wird sich zeigen, wie es weitergeht und wer wieder auf die Beine kommt. Aber wie ich die Unternehmerschaft auf St. Pauli kenne, sind die alle ganz schön findig.»

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