Inga (Anne Ratte-Polle) steht vor den Scherben ihres Lebens. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Frederic Batier/NDR/ARD/dpa)

Im neuen Film von Dominik Graf steht ein Greifvogel im Mittelpunkt. «So ein Falke hat etwas Aristokratisches. Selbst wenn er noch als Nesthäkchen daherkommt, wirkt er schon wie ein Veredelungsfaktor», hat der zurückhaltende Graf der Deutschen Presse-Agentur in Hamburg gesagt. «Denn der Mensch, der mit einem Falken durch die Landschaft schreitet, schreitet aufrecht in schöner Haltung.»

Der Film des zehnfachen Grimme-Preisträgers läuft diesen Mittwoch (20.15 Uhr) im Ersten. Im November hatte Arte ihn gezeigt.

Am Set in der Nähe von Wolfsburg, wo stets auch ein Falkner dabei war, gab es sogar drei Exemplare dieser Beizjagdvögel. Einen zur Reserve – und zwei, die in die Obhut der Hauptdarstellerin Ratte-Polle gelangten. Beziehungsweise in die ihrer Rollenfigur – einer völlig auf ihren Beruf als forensische Biologin an einem rechtsmedizinischen Institut konzentrierten, dadurch von ihren Mitmenschen isolierten Frau.

Gefühle von Verbundenheit

Dank der Begegnung mit dem Tier, das sie zähmen soll, erlebt diese Inga erstmals wieder Gefühle von Verbundenheit. Zugleich wird sie aufgewühlt von Äußerungen ihres knorrigen verwitweten Vaters (Jörg Gudzuhn), der ihr die Schuld an ihrer Scheidung gibt. Und zudem behauptet, die Nachbarstochter Charlotte (Olga von Luckwald) sei ihre Halbschwester. 

Zögerlich findet Inga den Weg zu sich selbst – und zu mehr Mitmenschlichkeit. Dabei scheint in dem Drama mit durchaus heiteren Untertönen stets eine Art unsichtbares «Memento Mori» (Bedenke, dass du sterben musst) mitzuschwingen. Schließlich ist Inga bei ihrer Arbeit täglich mit den Überresten menschlicher Körper konfrontiert. Dennoch versäumt sie es, ihr eigenes Leben wirklich zu leben.

Geschrieben hat die in poetisch schlichten Alltagsbildern erzählte Geschichte die ebenfalls mehrfach mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete Beate Langmaack. Mit ihr arbeitete Graf bereits beim Leukämie-Drama «Hanne» (2019) mit Iris Berben zusammen. 

Das Zwischenmenschliche

Für seine Filmheldin habe er viel Verständnis, sagt Graf. «Ich glaube, dass sie eine Figur ist, die damit zurechtkommt, dass sie in ihrem Leben zwischenmenschlich noch nicht weit gekommen ist. Und das völlig glaubt, kompensieren zu können in ihrer Arbeit. Sie ist ja sehr clever.» Und er fährt fort: «Nur in dem Augenblick, in dem sie auf ihre menschliche Seite geworfen wird, da merkt man, wie schwach sie da ist, wo sie eigentlich menschlich sein müsste. Sie ist ein Mensch, der im Ungleichgewicht lebt und das nicht wirklich weiß.»

So eine Haltung sei heute wohl nicht untypisch, meint Graf – und schließt auch die eigene Branche nicht aus. «Gerade mein Beruf, der ja die ganze Welt beinhaltet, füllt einen komplett aus. Damit kann man schon mal die andere Seite – das gelebte Leben – gewissermaßen kompensieren. Doch irgendwann sollte es einem auffallen.»

Mit ihrer Rollenfigur Inga kann sich auch die viel beschäftigte Schauspielerin Ratte-Polle identifizieren. Die 49-Jährige, die an großen Bühnen, für Film, Fernsehen und Rundfunk arbeitet, hat sogar bewusst auf Kinder verzichtet, um intensiv in ihrem Traumberuf arbeiten zu können. Das Zwischenmenschliche pflege sie allerdings schon, sagt sie der dpa. 

Zu ihrer Inga erklärt Ratte-Polle: «Ich möchte Frauenfiguren aus neuen Perspektiven erzählen. Danach suche ich. Und hier fand ich es toll zu erzählen, dass eine Frau allein lebt – das Problem aber nicht ist, ist dass sie keine partnerschaftliche Beziehung hat. Sondern dass sie sich generell vor Menschen verschließt.» Man könne schließlich sehr gut allein leben, ohne deshalb einsam zu sein. «Den Aspekt finde ich wichtig», betont die Schauspielerin.

Ratte-Polle: «Diese Vögel sind so feinsinnig.»

«Der Vogel weitet ihren Blick», meint die Künstlerin. Sie selbst habe, um sich auf ihre Rolle vorzubereiten, auf einem Falkenhof in Potsdam gelernt, so ein Beizjagdtier auf die Hand zu setzen und mit ihm spazieren zu gehen. «Es hat etwas sehr Kontemplatives», erzählt Ratte-Polle. «Diese Vögel sind so feinsinnig, sie nehmen alles wahr. Sobald man nervös ist, werden sie unruhig, flattern und wollen wegfliegen.»

Ihr Regisseur hat noch eine andere Erinnerung an die Falken. «Das Team musste Ruhe halten. Hieß es, Achtung, Vogel kommt, durfte er nicht abgelenkt werden, sonst wäre er nervös geworden», berichtet Graf. «Das hat eine fast flüsternde Konzentration ausgelöst, die für die gesamte Arbeit positiv war. Endlich quatschte mal keiner.»

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