Prinz Harry (l), Jens Niemeyer (r) und Boris Pistorius zu Gast in der Fernsehsendung «das aktuelle sportstudio». (Urheber/Quelle/Verbreiter: Ralph Orlowski//ZDF und Ralph Orlowski)

Prinz Harry mag sich hoffnungslos mit seiner Familie überworfen haben und bei der britischen Bevölkerung unten durch sein – aber in der von ihm selbst geschaffenen Gemeinschaft der Invictus Games hängen die Menschen an seinen Lippen. Der Afghanistan-Veteran und Hubschrauberpilot der britischen Luftwaffe trifft bei den Soldatinnen und Soldaten genau den richtigen Ton.

«Schaut euch eure Uniform an», sagt der 38-Jährige am Samstagabend in seiner Willkommensrede vor 20.000 Menschen in der Merkur Spiel-Arena in Düsseldorf. «Das mag nicht mehr ein Camouflage-Anzug sein, sondern stattdessen eine Zusammenstellung heller Farben, aber ihr habt wieder eine Flagge auf eurer Schulter oder eurer Brust. Ihr und eure Familien – ihr seid wieder Teil eines Teams.»

Psychische Probleme nach Fronteinsatz

Viele Berufssoldaten kehren von Kriegseinsätzen schwer verwundet oder mit posttraumatischen Belastungsstörungen zurück. Auch Harry selbst kämpfte nach seinem Fronteinsatz mit psychischen Problemen. Der zweitgeborene Sohn von König Charles und Prinzessin Diana war zwischen 2007 und 2013 zweimal in Afghanistan stationiert und hat dort nach eigenen Angaben 25 Menschen im Kampf getötet.

Mit den Invictus Games hat Harry etwas geschaffen, was kriegsversehrten Soldatinnen und Soldaten und neuerdings auch Polizisten und Feuerwehrleuten viel bedeutet. Während der Eröffnungszeremonie ist die von diesem Ereignis ausgehende Energie deutlich zu spüren. Mehr als 500 Teilnehmer aus 21 Ländern treten während des Festivals in zehn Disziplinen an. Einerseits hat das etwas von einem großen Sportturnier: Da sind die verschiedenen Fangruppen, zum Beispiel die Niederländer in ihren Oranje-Shirts und die Franzosen mit ihren Trikoloren. Aber Medaillen und Siegertreppchen sind hier unwichtig. Es geht darum, über den Sport zurück ins Leben zu finden. Es geht um das Wir-Gefühl.

Als die ukrainischen Athletinnen und Athleten auf der Bühne einziehen, hält es von den 20.000 Zuschauerinnen und Zuschauern niemanden mehr auf den Sitzen. Standing Ovations. «Wir dürfen niemals aufhören, die Ukraine in diesem Krieg zu unterstützen, so lange es auch dauert», sagt Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) mit donnernder Stimme. Sogar Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erlaubt sich in seiner Videobotschaft ein wenig Pathos und erwähnt die «ukrainischen Brüder und Schwestern».

Harry: «Ich bin ein Düsseldorfer.»

Vergangenes Jahr fanden die Invictus Games in Den Haag statt – in Anspielung darauf scherzt Harry, man habe mal eben von «stroopwafels» – holländischen Sirupwaffeln – auf «Schnitzels» umgeschaltet. «Guten Abend zusammen und herzlich willkommen zu den Invictus Games 2023 hier in Düsseldorf», sagt er auf Deutsch. «Ich bin ein Düsseldorfer!»

Während ihm die Menschen in der Halle zujubeln, hat Harry zuvor am Düsseldorfer Rathaus nicht alle Erwartungen erfüllen können. Die mehr als 100 Fans, die sich dort am Absperrgitter postiert hatten, bekamen weder einen Händedruck noch ein Autogramm oder Selfies. Stattdessen strebte «His Harryness» schnell der blauen Eingangstür zu. Vielleicht auch deshalb, weil er sich hier nicht unnötig in den Vordergrund spielen will. Die Bühne soll den Invictus-Teilnehmern gehören.

In Sichtweite des royalen Empfangs findet eine kleine Gegendemonstration statt. «Kein Werben für’s Sterben», steht da. Der Vorwurf: Die Invictus Games normalisieren Krieg, die Bundeswehr zieht eine Werbeshow ab. Pistorius kann die Kritik nicht verstehen: Es gehe hier definitiv nicht um eine Heroisierung des Soldatentums, sagt er. Vielmehr werde bei den Invictus Games für alle sichtbar, mit welchen Schrecken der Krieg verbunden sei.

Kein Held beim Torwandschießen

Nach der Eröffnung der Spiele geht’s für Harry und Pistorius weiter ins ZDF-Sendezentrum nach Mainz zum «Aktuellen Sportstudio». Hier sitzen zwei Invictus-Teilnehmer zwischen ihnen: Angelo Anderson aus den USA und Jens Niemeyer aus Deutschland. Niemeyer erzählt sichtlich bewegt, wie er nach einem Afghanistan-Einsatz an einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung litt – und mit Hilfe des Sports und der Invictus Games langsam die Kurve bekam.

Harry wirkt hier wie ein Mensch, der seine Lebensaufgabe gefunden und sich ihr ganz verschrieben hat. Der Rosenkrieg gegen die eigene Familie, seine mediale Dauer-Anklage, das Zerwürfnis im Leinwandformat – all das ist weit weg. Harry ist hier einfach Sympathieträger. Erst recht, als er beim Torwandschießen sechsmal daneben ballert und damit kläglich gegen den 63-jährigen Pistorius versagt, der locker zwei Bälle reinschiebt. Der Prinz zollt dem Torschützen-König lachend Tribut: «Ist das der neue Fußballtrainer jetzt für Deutschland? Das können Sie doch noch nebenher machen! Der Mann für alle Fälle sozusagen.»

Eine Woche lang wird Düsseldorf nun zur Abwechslung mal keinen Karnevalsprinzen beherbergen, sondern einen echten Königssohn – wenn auch einen, der aus dem royalen Familienbetrieb ausgeschieden ist. Stattdessen hat er sich etwas Eigenes aufgebaut. Am Freitag feiert er sogar seinen 39. Geburtstag am Rhein. Bis dahin, so heißt es, wird auch seine Frau Meghan Markle aus Kalifornien einschweben. Und dann, wer weiß, gibt’s vielleicht doch noch Autogramme.

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